Wissen, wo das Saarland liegt

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Zusätzlich zu den obligatorischen Sprachtests werden neuerdings
"Vorintegrationskurse" angeboten. Ein Besuch.

ISTANBUL taz | Mehmet will wissen, wie es mit der
Krankenversicherung funktioniert. Ayse weiß nicht, wie es mit
dem Visum für ihre Tochter aussieht, und Murat erkundigt sich, welche
Steuerklasse er zukünftig auf seiner Lohnsteuerkarte haben wird.
Mehmet, Ayse und Murat wollen nach Deutschland, genauso wie
zwanzig andere junge Frauen und Männer, die mit ihnen in einer
Schulklasse einer privaten Sprachschule im Istanbuler Bezirk Bakirköy
sitzen und einen älteren Herrn mit ihren Fragen bombardieren.
Tatsächlich weiß Bülent Beylanli auf fast alles eine Antwort. Wenn es zu
speziell wird, bietet er an, sich im Einzelgespräch um weitere Aufklärung
zu bemühen.

Das Ganze nennt sich "Vorintegrationsprojekt – Meine neue Heimat" und
ist für deutsche Verhältnisse etwas Neues. Andere Länder böten
derartige Kurse schon lange an, sagt Beylanli, "aber Deutschland hat
sich erst vor kurzer Zeit dazu durchgerungen, dass es ein
Einwanderungsland ist". Verbunden wurde diese Erkenntnis mit einem
repressiven Akt: Wer im Rahmen der Familienzusammenführung nach
Deutschland einwandern will, muss seit Sommer 2007 im Herkunftsland
einen Sprachkurs absolvieren und eine Prüfung bestehen. Insbesondere
in der Türkei glauben viele, dass die Sprachprüfungen nur eingeführt
wurden, um den Zuzug einzuschränken. Allerdings erhärten die Zahlen
diesen Verdacht nicht unbedingt: Nach Angaben des Auswärtigen Amts
wurden im Jahr 2008 6.886 Visa für Ehegatten bewilligt und nur 208
Anträge abgelehnt.

Auch Beylanli will den Deutschen keine bösen Absichten unterstellen. Er
hat jahrzehntelang in Deutschland gelebt, bevor er aus
Mönchengladbach nach Istanbul zurückgekehrt ist. Er findet es richtig,
dass die Leute Grundkenntnisse der deutschen Sprache erwerben,
bevor sie ins Land kommen. Schließlich hätten viele Türken gezeigt,
dass sie die Sprache nicht mehr lernten, wenn sie erst mal da seien.
Um erfolgreich in eine neue Gesellschaft hineinwachsen zu können, aber
brauche man mehr als die Sprache. "Unser Vorintegrationskurs soll den
Leuten wenigstens die wichtigsten Informationen vermitteln, die man
über Deutschland haben sollte." Beylanli hat dafür einen Power-Point-
Vortrag vorbereitet. Staatsform, Bundesländer, Arbeitserlaubnis, Hartz IV
– alles flimmert als geballte Ladung Information über die Schultafel.
Anders als die Sprachprüfungen sind die Vorintegrationskurse freiwillig.
"Die Kanadier", erzählt Beylanli, "machen solche Kurse zu einer
Voraussetzung für die Einwanderung. Allerdings laden sie die Leute
dann auf ihre Kosten eine Woche lang in ein Hotel ein und bereiten die
zukünftigen Kanadier auch richtig auf das neue Land vor. So weit sind
wir noch lange nicht."

Tatsächlich sind die Vorintegrationskurse im Herkunftsland noch ganz
neu. Beylanli und seine drei Kollegen haben erst im Dezember letzten
Jahres in Istanbul angefangen. Außer dem Büro in Istanbul gibt es noch
welche in Ankara und Izmir. Bezahlt werden er und seine Kollegen vom
Bundesamt für Migration und Flüchtlinge und aus dem Integrationsfonds
der EU. Natürlich interessierten sich die meisten mehr für Fragen zur
Visavergabe als für den Staatsaufbau der Bundesrepublik, erzählt
Beylani. "Aber sie hören immerhin zu und gehen nicht mehr ganz so
ahnungslos nach Deutschland wie die Generationen vor ihnen."

JÜRGEN GOTTSCHLICH
http://www.taz.de/1/politik/deutschland/artikel/1/wissen-wo-das-saarland-liegt/

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